In der Nacht des 20.Juli 1969 verfolgt alle Welt gebannt am Fernseher, wie Neil Armstrong als erster Mensch den Mond betritt. In dieser Nacht gelingt dem fünfjährigen (vermeintlichen) Waisenjungen Hardy die Flucht aus dem Heim, in dem er seit seiner Geburt gelebt hat. In derselben Nacht flüchtet eine Frau auf ganz andere Weise: als Giftmörderin zu lebenslänglicher Haft verurteilt, macht sie einen Selbstmordversuch, wird aber gerettet und vorerst in eine psychiatrische Anstalt eingewiesen. Es ist Hardys Mutter, die dort einem verständnisvollen Arzt von ihrem gescheiterten Leben erzählt. Hardys abenteuerliches Leben wiederum führt um die halbe Welt bis nach Amerika. Eine Erfolgsgeschichte?
„Wo wir waren“ erzählt spannend und zugleich nachdenklich davon, wie unsere Lebensgeschichten stets verknüpft sind mit der politischen Geschichte und dem Schicksal unserer Vorfahren. Und welche Rolle der Zufall oft spielt.
Seit ihrer Geburt lebt die vierzehnjährige Pearl zusammen mit ihrer Mutter Margot in einem Auto am Rande eines Trailerparks irgendwo in Florida. Die Mutter arbeitet als Putzhilfe in einem Veteranenkrankenhaus.Trotz der prekären sozialen Umstände vermisst sie nichts: ihre Mutter umsorgt sie liebevoll und die Bewohner der Wohnwagen sind ihre Familie. Dass im gesamten Trailerpark Waffen allgegenwärtig sind und schon Kinder mit Pistolen spielen, gehört zu ihrem normalen Alltag. Dann taucht Eli auf, ein Mann, der sofort Gefahr und Unheil ausstrahlt und im Waffenschmuggel tätig ist. Als sich Margot Hals über Kopf in ihn verliebt, bahnt sich eine Katastrophe an und Pearls Weltordnung bricht zusammen.
Jennifer Clement gelingt eine herzzerreissende Mutter-Tochter-Geschichte in einer betörend schönen Sprache. Zugleich ist der Roman eine leidenschaftliche Kritik am heutigen waffen- starrenden Amerika.
Martha und Betty, seit Jahrzehnten beste Freundinnen, sind mit dem Auto auf dem Weg in die Schweiz. Auf dem Rücksitz Marthas todkranker Vater, der dort Sterbehilfe in Anspruch nehmen will. Allerdings stellt sich heraus, dass er vorher noch ein anderes Ziel hat: seine frühere Geliebte am Lago Maggiore. Dort will er erst mal bleiben. Die Freundinnen aber reisen weiter Richtung Rom, denn auch Betty hat ein Vaterproblem: Er, inzwischen verstorben, war Italiener und hat die Familie verlassen, als Betty noch ein Kind war. Nun will sie sein Grab in der Nähe von Rom aufsuchen und sich nach der Verwandtschaft erkundigen. Aber dort erlebt sie eine große Über- raschung. Geistreich und voller Komik erzählt Lucy Fricke von einer verrückten Reise, von abwesenden Vätern und enttäuschenden Müttern, von Frauen um die vierzig, die sich fragen, ob die Ideale von Selbstverwirklichung und Glücklichsein wirklich so unverzichtbar sind – wenn man eine Freundin hat, mit der man so herrlich über das Unglück lachen kann. Dieser Roman wurde für den Bayerischen Buchpreis 2018 nominiert.
Ein ungewöhnlicher Einblick: Psychoanalyse bei Sigmund Freud, aus der Sicht einer berühmten Patientin. Es handelt sich um den „Fall Dora“ (vgl Freud, Bruchstücke einer Hysterie-Analyse), in Wirklichkeit Ida Bauer, ein 18-jähriges Mädchen, die Urgroßmutter der Autorin. Allerdings bricht sie die „Redekur“ eigenmächtig nach knapp drei Monaten ab - zu absonderlich kommen ihr die Ansichten des Doktors vor. Wie geht es nun weiter mit Ida? Katharina Adler erzählt von ihrer Ehe mit einem erfolglosen Komponisten, von ihrem Versuch, sich mit einem Bridgesalon selbständig zu machen, von ihrem Bedürfnis, im Mittelpunkt zu stehen und gesehen zu werden – es ist das Portrait einer eigensinnigen und herben Frau, die in Beziehungen wenig Glück erfährt und um Selbstbe- stimmung ringt. Schließlich wirft der zunehmende Antisemitismus ihr Leben aus der Bahn. Sie verliert Besitz und gesellschaftlichen Status, und bald geht es ums nackte Überleben. „Ida“ ist nicht nur der packende Lebensroman einer widerspenstigen Frau, sondern beschreibt sehr eindrucksvoll das Schicksal einer wohlhabenden jüdischen Familie in der ersten Jahrhunderthälfte.
Die Richardsons sind eine ordentliche Familie in einer ordentlichen amerikanischen Kleinstadt. Die Mutter ist Journalistin, der Vater Anwalt, vier Kinder im Jugendalter. Alles läuft scheinbar bestens. Sie vermieten ihre Zweitwohnung an Mia, eine allein erziehende chaotische Künstlerin, die sich und ihre Tochter Pearl mit einfachen Jobs mühsam über Wasser hält und es nirgendwo lange aushält. Trotz ihrer Unterschiedlichkeit kommen sich die Familien, vor allem die Kinder, rasch näher. Doch was so positiv beginnt, enthält ungeahnte Sprengkraft: zunehmend stellen die Töchter das Leben ihrer Mütter in Frage. In beiden Familien werden Lebenslügen aufgedeckt und es kommt zur Katastrophe. Spannend und mit viel Einfühlungsvermögen für ihre Figuren erstellt Celeste Ng ein Psychogramm zweier sehr unterschiedlicher Familien.
Mary-Alice, 27 Jahre alt und Assistentin in einer Literaturagentur, hat ein Verhältnis mit Esra, einem berühmten 70-jährigen New Yorker Schriftsteller. Er ist Philip Roth nachempfunden, mit dem Lisa Halliday vor vielen Jahren eine Affäre hatte. Es könnte ein reines Klischee sein: der alternde Schriftsteller mit seiner ihn bewundernden Muse. Aber so wird die Geschichte nicht erzählt, denn Mary-Alice bestimmt jederzeit selbst, welche Rolle sie übernehmen will. Außerdem hat sie selbst schriftstellerische Ambitionen; ihren eigenen Roman lesen wir im zweiten Teil des Buches. Aus der Ich-Perspektive wird die Geschichte von Amar, einem irakisch-amerikanischen Ökonomen erzählt, der auf einer Reise in den Irak im Londoner Flughafen festgehalten wird. Er gilt als „Gefährder“ und wird dort stundenlang verhört. In den Wartezeiten dazwischen rekapituliert er seine Familiengeschichte. Unglaublich, wie treffsicher Lisa Halliday in ihrem Debüt zwischen Erzählstilen und Erzählperspektiven wechseln kann um die „Asymmetrien“ zwischen Mann und Frau, Jung und Alt, weißem Amerikaner und muslimischem Migrant darzustellen.
Der Ich-Erzähler, ein Soziologe, lernt die Kunstschneiderin Ora auf einer Hochzeitsparty kennen.
Sie fühlen sich zueinander hingezogen und beschließen, eine zweiwöchige Reise an der Westküste der USA zu unternehmen. Es soll offen bleiben, ob dabei eine Liebesbeziehung entsteht oder nicht. Denn jeder hat einiges an Seelengepäck mit dabei: beide haben eine Trennung hinter sich, beide nehmen dieselben Psychopharmaka um Ängste und Traurigkeit im Zaum zu halten. Kann das was werden? "Wir waren Zitterkinder. Wir nahmen Tabletten, und wir machten zusammen diese Reise, was ja hieß, dass alles Etappe war, ein lustvolles Stochern im Nebel und, wenn es gut ging, ein großer Spaß.“ Mit großer Leichtigkeit und zärtlichem Humor erzählt Michael Kumpfmüller von der Annäherung zweier komplizierter Menschen. Ist das eine Liebesgeschichte? Das entscheidet der Leser.
Graf Alexander Rostow ist 30 Jahre alt als er 1922 zu lebenslangem Hausarrest im Moskauer Luxushotel Metropol verurteilt wird. Bisher hat er dort eine Suite bewohnt, jetzt ist es eine Dienstbotenkammer. Als Gentleman alter Schule macht Alexander das Beste aus seiner Situation: mit vollendeten Manieren und liebenswürdigem Charme begegnet er jedem im Haus und nimmt schließlich die Stelle eines Kellners an. Sein Leben ändert sich dramatisch, als ihm eines Tages eine alte Freundin ihre kleine Tochter Nina anvertraut. Was als kurzfristige Notlösung gedacht war, wird zum Dauerzustand: das Mädchen wächst im Hotel auf und Alexander übernimmt die Verantwortung für sie. Welche Zukunft wird es für die beiden geben? Und wird Alexander das Hotel jemals wieder verlassen können?
Kaum vorstellbar, dass ein Roman, der ausschließlich im Mikrokosmos eines Hotels spielt, derart fesselnd ist, zudem humorvoll und mit viel Esprit erzählt. Zugleich ist es eine Zeitreise durch die Geschichte Moskaus, von der Zarenzeit bis zum Beginn des Kalten Krieges. Ein rundum gelungenes Buch.
Die Ehe von John und Margaret steht von Anfang an unter einer schweren Belastung: John leidet phasenweise unter schweren Depressionen. Sie bekommen drei Kinder, jahrelang gelingt ihnen ein einigermaßen normales Familienleben. Doch eines Tages, die Kinder sind schon fast erwachsen, ist das „Ungeheuer“ wieder da. John verzweifelt und nimmt sich das Leben. Der Roman erzählt nun den weiteren Lebensweg von Margaret und ihren drei Kindern aus wechselnder Perspektive. Celia wird Sozialarbeiterin und scheut sich, selbst eine Familie zu gründen, Alec, der Journalist, braucht lange um einen Lebenspartner zu finden. Beide kümmern sich um Ihren älteren Bruder Michael, der offenbar die Veranlagung seines Vaters geerbt hat und unter schweren Angst- störungen leidet.
Ist die Familie eher Verhängnis oder ein Ort, der Hilfe und Halt verspricht? Darüber hat Haslett einen großen und erschütternden Familienroman geschrieben, der für mehrere Preise nominiert wurde.
Die Schwestern Effia und Esi werden in Ghana im 18. Jahrhundert geboren. Die eine wird als Sklavin nach Amerika verkauft, die andere heiratet einen britischen Offizier, der die Verschiffung der Sklaven organisiert. Der Roman erzählt die Geschichte der Kinder und Kindeskinder dieser beiden Frauen. Jeweils kapitelweise wechselnd zwischen Amerika und Ghana wird bildmächtig und mit großer erzählerischer Kraft das facettenreiche System der Sklaverei beschrieben, an dem auch afrikanische Stammeshäuptlinge beteiligt waren, ein Aspekt, der wenig bekannt ist. Die vorerst letzten Nachkömmlinge der beiden Familien, Marjorie und Marcus leben im heutigen Amerika und lernen sich zufällig kennen. So schließt sich der Kreis.
Yaa Gyasi, die schon als Kind aus Ghana in die USA gekommen ist, hat sieben Jahre intensiv für diesen Roman recherchiert – unbedingt lesenswert!
Mit elf Jahren kommt Pietro zum ersten Mal für die Ferien in das fast verlassene Bergdorf Grana im Aostatal. Rasch freundet er sich mit Bruno an, dem einzigen Kind im Dorf. Sommer für Sommer treffen sie sich wieder, streifen durch die Gegend und besteigen Berge. Später trennen sich ihre Wege: Bruno baut die Käserei seines Onkels wieder auf und gründet eine Familie, während Pietro als Dokumentarfilmer in die Welt hinaus zieht und ungebunden bleibt. Fast verlieren sie sich aus den Augen, da erbt Pietro von seinem verstorbenen Vater ein Grundstück bei Grana. Er kehrt für einen Sommer in die Berge zurück und baut mit Bruno die verfallene Almhütte auf dem Grundstück wieder auf. Ohne viel Worte wird die alte Freundschaft bekräftigt; beide ringen mit der Frage, ob der eingeschlagene Lebensweg der Richtige ist. „Acht Berge“ ist ein eindringliches und existentielles Buch über eine Männerfreundschaft und über die stille Kraft der Natur und der Berge.
Markus Orths erzählt die Lebensgeschichte des Künstlers Max Ernst. Ein Leben geprägt vom unaufhaltsamen Drang Kunst zu machen. Wie war das trotz der schwierigen politischen Umstände zwischen den zwei Weltkriegen und im Exil möglich und welchen Einfluss hatten berühmte Freunde wie Pablo Picasso, André Breton, Peggy Guggenheim und andere auf den Künstler? Der Leser taucht wie in einem Film ein in das künstlerische Lebensgefühl dieser Zeit, geprägt von Leidenschaft, Liebe, Trennung und künstlerischer Schaffenskraft. Die vier wichtigsten Frauen im Leben von Max Ernst nehmen einen breiten Raum im Roman ein, denn sie ermöglichten ihm erst durch ihre emotionale oder auch finanzielle Unterstützung, für seine Kunst leben zu können.
Immer, wenn der alten Selma im Traum ein Okapi erscheint, stirbt am nächsten Tag jemand im Dorf. Selma ist die Großmutter der Ich-Erzählerin Luise und bei ihr verbringt sie die meiste Zeit, denn ihre Eltern sind hauptsächlich mit ihrer unglücklichen Ehe beschäftigt.Sie ist eine Art Dorfälteste und Anlaufstelle für alle, die einen guten Rat brauchen: Luises Freund Martin, der einen gewalttätigen Vater hat, die abergläubische Heilerin Elsbeth, die depressive Marlies und der Optiker, der schon seit Jahren heimlich in Selma verliebt ist. Guter Rat ist auch nötig, als Luise unversehens von der Liebe getroffen wird. Ausgerechnet ein buddhistischer Mönch muss es sein. Der lebt in Japan und fühlt sich an sein Gelübde gebunden, doch ein anderer kommt nicht in Frage. Was tun?
Mariana Leky beschreibt ihre schrulligen Figuren liebevoll, mit hinreißendem Humor und tiefer Menschlichkeit - eine herrliche Lektüre!
England 1881. Zwei Berühmtheiten leben nur wenige Kilometer auseinander und sind sich doch nie begegnet: Karl Marx arbeitet in London in ärmlichsten Verhältnissen am ersten Band des „Kapital“, Charles Darwin lebt in einem Pfarrhaus in Kent und forscht am Regenwurm. Beide haben mit ihren Büchern, der eine zur Evolution, der andere zur Revolution, die Welt für immer verändert. Jetzt sind sie alt; sie leiden an Schlaflosigkeit, Melancholie und diversen anderen Beschwerden. Ilona Jerger bringt die beiden durch einen (erfundenen) Hausarzt miteinander in Kontakt; schließlich kommt es sogar zu einem gemeinsamen Dinner mit hitzigen Diskussionen.
Es ist ein wunderbarer Roman, der Fabulierlust mit naturwissenschaftlichen und gesellschaftlichen Erkenntnissen verbindet, ein humorvolles Porträt zweier bedeutender Männer, deren Disput nach wie vor aktuell ist.
Achtung! Dieses Buch könnte Ihnen den Schlaf rauben! Dreizehn Jahre nach dem Sommer, den sie am liebsten vergessen würde, kehrt Eva zurück in das Dorf, in dem sie zusammen mit ihrem Bruder und der kleinen Schwester aufgewachsen ist. Sie folgt einer Einladung von Pim, der damals zu ihren Freunden gehörte. Ihre gesamte Freizeit hat sie mit ihm und Laurens verbracht bis in jenem Sommer ein böses Spiel furchtbar eskalierte und die Kindheit aller Beteiligten beendete. In langen Rückblenden erfährt man die Familiengeschichte Evas, lernt das Dorf und seine Bewohner kennen, in dem das Leben nicht gerade idyllisch ist und treibt beim Lesen unaufhaltsam auf eine Katastrophe zu. Lize Spits Roman ist großartig erzählt, erschütternd und fast unerträglich spannend.