Mary-Alice, 27 Jahre alt und Assistentin in einer Literaturagentur, hat ein Verhältnis mit Esra, einem berühmten 70-jährigen New Yorker Schriftsteller. Er ist Philip Roth nachempfunden, mit dem Lisa Halliday vor vielen Jahren eine Affäre hatte. Es könnte ein reines Klischee sein: der alternde Schriftsteller mit seiner ihn bewundernden Muse. Aber so wird die Geschichte nicht erzählt, denn Mary-Alice bestimmt jederzeit selbst, welche Rolle sie übernehmen will. Außerdem hat sie selbst schriftstellerische Ambitionen; ihren eigenen Roman lesen wir im zweiten Teil des Buches. Aus der Ich-Perspektive wird die Geschichte von Amar, einem irakisch-amerikanischen Ökonomen erzählt, der auf einer Reise in den Irak im Londoner Flughafen festgehalten wird. Er gilt als „Gefährder“ und wird dort stundenlang verhört. In den Wartezeiten dazwischen rekapituliert er seine Familiengeschichte. Unglaublich, wie treffsicher Lisa Halliday in ihrem Debüt zwischen Erzählstilen und Erzählperspektiven wechseln kann um die „Asymmetrien“ zwischen Mann und Frau, Jung und Alt, weißem Amerikaner und muslimischem Migrant darzustellen.
Der Ich-Erzähler, ein Soziologe, lernt die Kunstschneiderin Ora auf einer Hochzeitsparty kennen.
Sie fühlen sich zueinander hingezogen und beschließen, eine zweiwöchige Reise an der Westküste der USA zu unternehmen. Es soll offen bleiben, ob dabei eine Liebesbeziehung entsteht oder nicht. Denn jeder hat einiges an Seelengepäck mit dabei: beide haben eine Trennung hinter sich, beide nehmen dieselben Psychopharmaka um Ängste und Traurigkeit im Zaum zu halten. Kann das was werden? "Wir waren Zitterkinder. Wir nahmen Tabletten, und wir machten zusammen diese Reise, was ja hieß, dass alles Etappe war, ein lustvolles Stochern im Nebel und, wenn es gut ging, ein großer Spaß.“ Mit großer Leichtigkeit und zärtlichem Humor erzählt Michael Kumpfmüller von der Annäherung zweier komplizierter Menschen. Ist das eine Liebesgeschichte? Das entscheidet der Leser.
Graf Alexander Rostow ist 30 Jahre alt als er 1922 zu lebenslangem Hausarrest im Moskauer Luxushotel Metropol verurteilt wird. Bisher hat er dort eine Suite bewohnt, jetzt ist es eine Dienstbotenkammer. Als Gentleman alter Schule macht Alexander das Beste aus seiner Situation: mit vollendeten Manieren und liebenswürdigem Charme begegnet er jedem im Haus und nimmt schließlich die Stelle eines Kellners an. Sein Leben ändert sich dramatisch, als ihm eines Tages eine alte Freundin ihre kleine Tochter Nina anvertraut. Was als kurzfristige Notlösung gedacht war, wird zum Dauerzustand: das Mädchen wächst im Hotel auf und Alexander übernimmt die Verantwortung für sie. Welche Zukunft wird es für die beiden geben? Und wird Alexander das Hotel jemals wieder verlassen können?
Kaum vorstellbar, dass ein Roman, der ausschließlich im Mikrokosmos eines Hotels spielt, derart fesselnd ist, zudem humorvoll und mit viel Esprit erzählt. Zugleich ist es eine Zeitreise durch die Geschichte Moskaus, von der Zarenzeit bis zum Beginn des Kalten Krieges. Ein rundum gelungenes Buch.
Die Ehe von John und Margaret steht von Anfang an unter einer schweren Belastung: John leidet phasenweise unter schweren Depressionen. Sie bekommen drei Kinder, jahrelang gelingt ihnen ein einigermaßen normales Familienleben. Doch eines Tages, die Kinder sind schon fast erwachsen, ist das „Ungeheuer“ wieder da. John verzweifelt und nimmt sich das Leben. Der Roman erzählt nun den weiteren Lebensweg von Margaret und ihren drei Kindern aus wechselnder Perspektive. Celia wird Sozialarbeiterin und scheut sich, selbst eine Familie zu gründen, Alec, der Journalist, braucht lange um einen Lebenspartner zu finden. Beide kümmern sich um Ihren älteren Bruder Michael, der offenbar die Veranlagung seines Vaters geerbt hat und unter schweren Angst- störungen leidet.
Ist die Familie eher Verhängnis oder ein Ort, der Hilfe und Halt verspricht? Darüber hat Haslett einen großen und erschütternden Familienroman geschrieben, der für mehrere Preise nominiert wurde.
Die Schwestern Effia und Esi werden in Ghana im 18. Jahrhundert geboren. Die eine wird als Sklavin nach Amerika verkauft, die andere heiratet einen britischen Offizier, der die Verschiffung der Sklaven organisiert. Der Roman erzählt die Geschichte der Kinder und Kindeskinder dieser beiden Frauen. Jeweils kapitelweise wechselnd zwischen Amerika und Ghana wird bildmächtig und mit großer erzählerischer Kraft das facettenreiche System der Sklaverei beschrieben, an dem auch afrikanische Stammeshäuptlinge beteiligt waren, ein Aspekt, der wenig bekannt ist. Die vorerst letzten Nachkömmlinge der beiden Familien, Marjorie und Marcus leben im heutigen Amerika und lernen sich zufällig kennen. So schließt sich der Kreis.
Yaa Gyasi, die schon als Kind aus Ghana in die USA gekommen ist, hat sieben Jahre intensiv für diesen Roman recherchiert – unbedingt lesenswert!
Mit elf Jahren kommt Pietro zum ersten Mal für die Ferien in das fast verlassene Bergdorf Grana im Aostatal. Rasch freundet er sich mit Bruno an, dem einzigen Kind im Dorf. Sommer für Sommer treffen sie sich wieder, streifen durch die Gegend und besteigen Berge. Später trennen sich ihre Wege: Bruno baut die Käserei seines Onkels wieder auf und gründet eine Familie, während Pietro als Dokumentarfilmer in die Welt hinaus zieht und ungebunden bleibt. Fast verlieren sie sich aus den Augen, da erbt Pietro von seinem verstorbenen Vater ein Grundstück bei Grana. Er kehrt für einen Sommer in die Berge zurück und baut mit Bruno die verfallene Almhütte auf dem Grundstück wieder auf. Ohne viel Worte wird die alte Freundschaft bekräftigt; beide ringen mit der Frage, ob der eingeschlagene Lebensweg der Richtige ist. „Acht Berge“ ist ein eindringliches und existentielles Buch über eine Männerfreundschaft und über die stille Kraft der Natur und der Berge.
Markus Orths erzählt die Lebensgeschichte des Künstlers Max Ernst. Ein Leben geprägt vom unaufhaltsamen Drang Kunst zu machen. Wie war das trotz der schwierigen politischen Umstände zwischen den zwei Weltkriegen und im Exil möglich und welchen Einfluss hatten berühmte Freunde wie Pablo Picasso, André Breton, Peggy Guggenheim und andere auf den Künstler? Der Leser taucht wie in einem Film ein in das künstlerische Lebensgefühl dieser Zeit, geprägt von Leidenschaft, Liebe, Trennung und künstlerischer Schaffenskraft. Die vier wichtigsten Frauen im Leben von Max Ernst nehmen einen breiten Raum im Roman ein, denn sie ermöglichten ihm erst durch ihre emotionale oder auch finanzielle Unterstützung, für seine Kunst leben zu können.
Immer, wenn der alten Selma im Traum ein Okapi erscheint, stirbt am nächsten Tag jemand im Dorf. Selma ist die Großmutter der Ich-Erzählerin Luise und bei ihr verbringt sie die meiste Zeit, denn ihre Eltern sind hauptsächlich mit ihrer unglücklichen Ehe beschäftigt.Sie ist eine Art Dorfälteste und Anlaufstelle für alle, die einen guten Rat brauchen: Luises Freund Martin, der einen gewalttätigen Vater hat, die abergläubische Heilerin Elsbeth, die depressive Marlies und der Optiker, der schon seit Jahren heimlich in Selma verliebt ist. Guter Rat ist auch nötig, als Luise unversehens von der Liebe getroffen wird. Ausgerechnet ein buddhistischer Mönch muss es sein. Der lebt in Japan und fühlt sich an sein Gelübde gebunden, doch ein anderer kommt nicht in Frage. Was tun?
Mariana Leky beschreibt ihre schrulligen Figuren liebevoll, mit hinreißendem Humor und tiefer Menschlichkeit - eine herrliche Lektüre!
England 1881. Zwei Berühmtheiten leben nur wenige Kilometer auseinander und sind sich doch nie begegnet: Karl Marx arbeitet in London in ärmlichsten Verhältnissen am ersten Band des „Kapital“, Charles Darwin lebt in einem Pfarrhaus in Kent und forscht am Regenwurm. Beide haben mit ihren Büchern, der eine zur Evolution, der andere zur Revolution, die Welt für immer verändert. Jetzt sind sie alt; sie leiden an Schlaflosigkeit, Melancholie und diversen anderen Beschwerden. Ilona Jerger bringt die beiden durch einen (erfundenen) Hausarzt miteinander in Kontakt; schließlich kommt es sogar zu einem gemeinsamen Dinner mit hitzigen Diskussionen.
Es ist ein wunderbarer Roman, der Fabulierlust mit naturwissenschaftlichen und gesellschaftlichen Erkenntnissen verbindet, ein humorvolles Porträt zweier bedeutender Männer, deren Disput nach wie vor aktuell ist.
Achtung! Dieses Buch könnte Ihnen den Schlaf rauben! Dreizehn Jahre nach dem Sommer, den sie am liebsten vergessen würde, kehrt Eva zurück in das Dorf, in dem sie zusammen mit ihrem Bruder und der kleinen Schwester aufgewachsen ist. Sie folgt einer Einladung von Pim, der damals zu ihren Freunden gehörte. Ihre gesamte Freizeit hat sie mit ihm und Laurens verbracht bis in jenem Sommer ein böses Spiel furchtbar eskalierte und die Kindheit aller Beteiligten beendete. In langen Rückblenden erfährt man die Familiengeschichte Evas, lernt das Dorf und seine Bewohner kennen, in dem das Leben nicht gerade idyllisch ist und treibt beim Lesen unaufhaltsam auf eine Katastrophe zu. Lize Spits Roman ist großartig erzählt, erschütternd und fast unerträglich spannend.
Jane Fairchild ist in einem Waisenhaus aufgewachsen und dann Dienstmädchen bei einem reichen Ehepaar geworden. Schon mit fünfzehn hat sie ein heimliches Verhältnis mit Paul Sheringham, dem jungen Erben der ebenfalls wohlhabenden Nachbarn begonnen. Jetzt, sieben Jahre später, wird er, von den Eltern gedrängt, demnächst standesgemäß heiraten. Doch er mag sich nicht von Jane trennen. An einem Sonntag, als das Haus leer ist, läd er sie zum ersten Mal zu sich nach Hause ein, zum ersten und letzten Mal teilt sie sein Bett: es wird ihr ganz persönlicher Festtag. Später verabschiedet er sich um seine Braut zu treffen – aber dort kommt er nie an….
Das schmale Buch, das eher eine Novelle als ein Roman ist, beschreibt meisterhaft und voller Sinnlichkeit einen einzigen Tag im März 1924 und umfasst zugleich ein ganzes Leben.
Betrunkene Bäume gibt es wirklich. Ein Begriff aus der Biologie, der Bäume bezeichnet, die im auftauenden Permafrostboden ihre Standfestigkeit verlieren. Auch Erich und Katharina haben keinen Halt mehr. Erich ist über achtzig und merkt, dass ihm seine Altersbeschwerden immer mehr die Kontrolle über seinen Alltag entziehen. Erich trauert seiner Zeit als Naturforscher in Sibirien und der verlorenen Liebe seines Lebens nach. In der Wohnung nebenan wohnt Katharina. Sie ist von zu Hause abgehauen und hat im Wohnzimmer ein Zelt aufgeschlagen, nachdem ihr Vater nach Sibirien auf Montage gefahren ist und sich ihre Mutter nicht um sie kümmert. Erich und Katharina nähern sich langsam einander an und es entsteht eine ungewöhnliche Freundschaft. In der poetischen Schreibweise der Autorin wundert es den Leser nicht, dass Bäume sogar in Schlafzimmern wachsen können.
Lula Ann kommt mit einer tiefschwarzen Hautfarbe auf die Welt, wie keiner aus ihrer Familie. Ihre eigene Mutter ist entsetzt und ihr Vater verlässt sofort die Familie, da er glaubt, dass das Kind nicht von ihm sein kann. Ihr ganzes Leben von der Mutter abgelehnt, erzieht diese ihre Tochter zu größtmöglicher Unauffälligkeit. Sie hat Angst vor rassistischen Übergriffen und schärft ihr ein, niemals aufzufallen. Doch Lula Ann macht sich davon frei, ändert als Erwachsene ihren Namen in "Bride" und trägt provokant nur noch strahlend weiße Kleidung, die ihre Hautfarbe erst recht betont. Sie gründet eine erfolgreiche Kosmetikfirma, kann sich aber nur schwer von ihrer Vergangenheit befreien. Die Geschichte einer schwierigen Mutter-Tochter-Beziehung, die deutlich macht, dass es kaum möglich ist, seine prägende Kindheitserfahrungen hinter sich zu lassen und wie die Angst vor Diskriminierung sich durch verinnerlichten Selbsthass gegen die eigene Person richten kann.
Hans Stichler bekommt von seiner Tante, einer Kunsthistorikerin, ein Stipendium für ein Studium in Cambridge, gekoppelt an einen Auftrag: er soll Mitglied des elitären, männerbündlerischen Pitt-Clubs werden um dort ein Verbrechen aufzuklären, über das die Tante allerdings keine näheren Angaben macht. Er schafft es, Schritt für Schritt, in den innersten Zirkel des Clubs mit seinen geheimen Riten vorzudringen und ahnt bald, dass das ominöse Verbrechen mit Sex und Macht zu tun hat. Behilflich ist ihm Charlotte, eine Doktorandin, in die er sich verliebt hat, aber auch sie scheint ein Geheimnis zu haben. Welche Verbindung hat sie selbst zum Club? Und welche Rolle spielt ihr Vater, ein reicher Banker, der Teil eines Netzwerkes ehemaliger Club-Mitglieder ist? Krimi und Liebesroman in einem – dieses geschmeidig erzählte schlanke Buch hat Sogwirkung und bleibt spannend bis zum Schluss. Es stellt die Frage nach der Bedeutung sozialer Teilhabe; wozu sind Menschen bereit, nur um dazu zugehören?
Das gemeinsame Leben eines älteren Paars beginnt 1986 mit einer Katastrophe: Beim Renovieren der zukünftigen Wohnung in einem Berliner Mietshaus, stürzt der Mann von der Leiter und ist fortan schwerbehindert. Er verschmäht den Rollstuhl und schleppt sich mühsam mit zwei Krücken vorwärts. Der autobiografische Roman erzählt aus der Perspektive der Frau, wie das Paarsein von den beiden neu gelernt werden muss, wie sie vorsichtig ausloten, was gemeinsam geht und was nicht. „Nie mehr, sagt er, wird er an einem warmen Sommerabend unter einem Himmel wie diesem mit mir gehen können, gehen und immer weiter gehen. Wir sind voneinander abgerückt. Ich lebe in der Welt der Gehenden, unendlich weit entfernt.“ Doch während sie nun mit eingeschränktem Bewegungsradius leben, machen sie zugleich die überraschende Erfahrung, das die Welt zunehmend zu ihnen kommt: Im Hinterhof campiert für einige Zeit eine Roma-Familie, eine Wohnung wird von iranischen Widerstandskämpferinnen für ihre Agitationsarbeit benutzt, im vierten Stock trifft sich eine koreanische Glaubensgemeinde, im Viertel ist die Russenmaffia zu Gange. Präzise und einfühlsam beschreibt Ulrike Edschmid die Veränderungen in Mietshaus und Kiez im Zeichen der Globalisierung und zugleich das beharrliche Zusammenstehen eines Paares unter schwierigen Bedingungen. Diesem Buch wünscht man die Nominierung zum Deutschen Buchpreis.