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Ein erhabenes Königreich Yaa Gyasi

Gifty, Tochter eines Einwandererpaars aus Ghana, hat es geschafft: sie ist eine erfolgreiche Neurowissenschaftlerin geworden und erforscht in einem Labor der kalifornischen Stanford University das Suchtverhalten von Mäusen. Eines Tages findet sie ihre Mutter, von der sie länger nichts gehört hat, in ihrer Wohnung vor: teilnahmslos liegt sie im Bett und reagiert auf keinerlei Ansprache. Das bleibt für Wochen so und weckt in Gifty schmerzhafte Erinnerungen an ihre Kindheit; als sie 11 Jahre alt war, ist ihr neun Jahre älterer Bruder an einer Überdosis Heroin gestorben, worauf die Mutter in eine schwere Depression verfiel. Der Vater, der besonders unter dem üblichen Alltagsrassismus litt, war damals schon zurück nach Ghana gegangen. Gifty war mehr oder weniger auf sich gestellt, fand einen gewissen Halt in einer evangelikalen Gemeinde und später dann in der Wissenschaft. Erkenntnis statt Emotionen – dafür hat sie sich entschieden, sie lebt für ihre Forschung, private Beziehungen vermeidet sie weitgehend.
Dieser Schutzpanzer wird nun mit dem Auftauchen der immer noch tief gläubigen Mutter brüchig. Depression und Sucht in der eigenen Familie – was nützt hier das hirnphysiologische Wissen?
Gifty versucht einen neuen persönlicheren Zugang, indem sie sich den Erinnerungen stellt. DuMont 2021

Daheim Judith Herrmann

Eine Frau um die fünfzig versucht einen Neuanfang: nachdem ihre Tochter erwachsen ist, verlässt sie ihren Ehemann Otis und zieht in einen kleinen Ort an der Ostsee, wo ihr Bruder eine Hafenkneipe betreibt. Sie mietet eine einfache Bauernkate und arbeitet bei ihrem Bruder als Kellnerin. Vorsichtig knüpft sie erste Bekanntschaften: mit Mimi, einer Künstlerin, und mit Arild, der auf seinem Bauernhof tausend Schweine hält. Mit diesem unzugänglichen und wortkargen Mann beginnt sie eine Affäre, wohl wissend, dass daraus keine tiefere Beziehung werden kann. "Wir sind Trabanten, denke ich, wir kreisen um unsere Sonnen, jeder um seine eigene". In fragmentarischen Rückblicken auf ihr Leben wird deutlich, dass dies wohl für alle ihre Beziehungen galt. Was weiß sie von ihrer Tochter Ann, die bindungslos durch die Welt zieht und nur gelegentlich per SMS ihren Aufenthaltsort mitteilt? Und was bedeutet ihr Otis, mit dem sie immer noch Briefkontakt hat? Kann es für sie überhaupt ein neues Leben oder gar erstmals ein „Daheim“ geben? Judith Herrmann hat einen makellosen Roman geschrieben, in dem jeder Satz sitzt. Bedeutsam ist auch, was nicht erzählt wird; hier ist der Leser gefragt. Deshalb wirkt das Buch lange nach.
„Daheim“ wurde für den Leipziger Buchpreis 2021 nominiert. S.Fischer Verlag 2021

Welten auseinander Julia Franck

Nach zwei Romanen, die von ihrer Familiengeschichte inspiriert waren, ist „Welten auseinander“ der Bericht einer verstörenden Kindheit und Jugend. Mit acht Jahren übersiedelte Julia Franck mit ihrer alleinerziehenden Mutter und den Schwestern in den Westen; zuerst in das Notaufnahmelager Marienfelde, später in ein heruntergekommenes Bauernhaus in Schleswig-Holstein, wo sie von Sozialhilfe leben. Die Verhältnisse sind chaotisch, die Mutter völlig überfordert, die Kinder verwahrlosen regelrecht. Schon früh sucht Julia Zuflucht in Büchern und schreibt wie besessen Tagebuch. Mit dreizehn hält sie es nicht mehr aus und zieht nach Berlin, zunächst zu einem befreundeten Paar, dann in eine WG. Sie lernt ihren Vater kennen und verliert ihn bald wieder, schlägt sich mit Putzen durch und schafft trotz allem das Abitur. Sie begegnet Stephan, ein neues, glückliches Kapitel in ihrem Leben scheint zu beginnen, doch dann kommt alles anders...
Es ist ein autobiographischer Text, der ohne Pathos, Bitterkeit und Selbstmitleid auskommt und über das persönlich Erlebte hinausweist. Bewegend! S.Fischer 2021

Die Überlebenden Alex Schulman

Nach zwei Jahrzehnten kehren die Brüder Benjamin, Pierre und Nils zu einem Ort ihrer Kindheit – ein Holzhaus am See – zurück, um die Asche ihrer Mutter zu verstreuen. Hier haben sie jahrelang mit den Eltern die Sommerferien verbracht. Im Kampf um die Liebe der Mutter, die abweisend und grob, dann wieder zärtlich war, haben die Jungen sich damals aufgerieben. Auch der Vater war schwankend zwischen Gleichgültigkeit und Überforderung. Weitgehend waren die Kinder sich selber überlassen. Benjamin, der mittlere Bruder, tastet sich nun in der Erinnerung Stück für Stück zurück, bis zu jenem Sommer, in dem ein schreckliches Unglück geschah und die Familie auseinanderbrach. Wie wird das Treffen der erwachsenen Brüder nun ablaufen? Nur so viel sei verraten: irgendwann taucht vor dem Sommerhaus die Polizei auf…
„Die Überlebenden“ ist ein großartiges Debüt, das von der ersten bis zur letzten Seite fasziniert. dtc 2021

Der zweite Jakob Norbert Gstrein

Jakob Thurner, ein bekannter Schauspieler, wird kurz vor seinem 60. Geburtstag mehrmals von einem aufdringlichen Journalisten interviewt, der eine Biografie über ihn schreiben will. Seine Tochter Luzy, eine fragile junge Frau, ist bei diesen Interviews dabei und fängt nun selber an, Fragen zu stellen. Eine lautet: „Was ist das Schlimmste, das du je getan hast?“ Er gibt eine (fast) ehrliche Antwort, worauf Luzie unerwartet heftig reagiert und den Kontakt zu ihm abbricht. Jakob muss sich nun seinen Erinnerungen stellen: Was ist zwanzig Jahre zuvor bei Dreharbeiten für einen Film an der amerikanisch-mexikanischen Grenze wirklich geschehen? Aber auch die familiären Beziehungen beschäftigen ihn zunehmend: Jakob hat drei Ehen hinter sich, und Luzy hat die meiste Zeit bei ihm gelebt; es war eine, wie es schien, innige Vater-Tochter-Beziehung. Nun muss er sich fragen, ob es da nicht auch schwere Versäumnisse gab. „Der zweite Jakob“ ist, aus der Ich-Perspektive erzählt, das eindringliche Portrait eines viel-schichtigen Menschen, der sich nicht festlegen lassen will und simple moralische Urteile verachtet. Nach einem äußerlich erfolgreichen Leben weiß er nicht, wer er ist und wieviel er taugt – und steht dazu. Ein intensives Buch, das zu denken gibt. Der Roman wurde für den Deutschen Buchpreis 2021 nominiert (Shortlist). Hanser 2021

Das Leben ist ein vorübergehender Zustand Gabriele von Arnim

Gabriele von Arnim beschreibt in ihrem Buch das Zusammenleben mit ihrem Mann, den sie nach zwei Schlaganfällen zehn Jahre gepflegt hat. Eigentlich wollte sie sich kurz vorher von ihm trennen, doch die Krankheit kam dazwischen. Und für sie bestand kein Zweifel, dass sie sich um ihn kümmern wird. Dies war keine nur aufopfernde Tätigkeit, sondern hatte viele Facetten mit dem zwar bewegungsunfähigen, aber im Geist klaren Mann zusammenzuleben. Sie versucht sich in ihren Mann hineinzuversetzen: „Wie ist es, mit wachem Geist hinter Mauern zu sein?“ Ihr Mann, dem seine Unabhängigkeit immer so wichtig war. Wie hilflos wirken dagegen manche Freunde bei dem Versuch, mit der Situation umzugehen. Wer kann helfen, ohne sich selbst zu betroffen dafür zu fühlen. Welche Wut entsteht bei ihr, wenn es wieder Rückschläge gibt. Von Arnim bezieht Beispiele aus der Literatur mit ein, die ihr in dieser Zeit Unterstützung geben. Es ist kein larmoyantes Buch, sondern mit großer Ehrlichkeit, aber auch Ironie geschrieben, nicht um der Bewunderung willen, sondern um sich nach dem Tod ihres Mannes das Geschehen noch einmal zu vergegenwärtigen. Es ist ein Buch über Liebe, Würde und das Aushalten von Unzumutbarem. Beeindruckend! Rowohlt 2021

An das Wilde glauben Nastassja Martin

Die Anthropologin Nastassja Martin hat über Jahre hinweg die Kultur der Ewenen in Kamtschatka erforscht und dabei immer wieder Monate lang bei einer Familie mitten in der Waldwildnis gelebt. Eines Tages bricht sie trotz der Warnungen der Einheimischen zum gletscherbedeckten Gipfel eines Vulkanberges auf – und hat auf dem Rückweg die Begegnung ihres Lebens! Sie wird von einem Bären angegriffen und überlebt wie durch ein Wunder, schwer verletzt und mit zerbissenem Gesicht. Nach etlichen Operationen zunächst in Russland und später in Frankreich kehrt sie zu ihrer ewenischen Familie zurück, um das Erlebte zu verarbeiten und Heilung zu erfahren. Von manchen wird sie jetzt als „matucha“, Bärin, geehrt, bestimmt „zwischen den Welten“ zu leben. Doch nicht alle Mitglieder der Familie sind von ihrer Rückkehr begeistert...
Nastassja Martin erzählt in ihrem autobiografischen Bericht ungemein packend, wie sie die animistische Vermischung zwischen Mensch und Tier, die sie zuvor als Wissenschaftlerin studiert
hat, nun an sich selber erlebt – als tiefgehende Befreiung. Matthes & Seitz 2021

Der Schneeleopard Sylvain Tesson

Gemeinsam mit dem berühmten Tierfotografen Vincent Munier reist der Abenteurer und Schriftsteller Tesson in eine der abgelegensten Regionen der Welt. In Tibet wollen sie eines der seltensten Tier der Welt beobachten und fotografieren: den Schneeleopard. Die Reise geht durch scheinbar menschenleere Gegenden und karge, zerklüftete Landschaften. Schließlich schlagen sie ihr Zelt neben der Hütte einer Hirtenfamilie auf, auf über 4000 Meter Höhe bei Minus 20 Grad – unvorstellbar, dass man hier leben kann! Stundenlang harren sie täglich auf ihren Beobachtungsposten aus, immer in der Hoffnung, dem Schneeleoparden zu begegnen. Viel Zeit, um über den Zustand einer Welt nachzudenken, in der es kaum noch Raum gibt für das Ungebändigte und die Schönheit ungenutzter Natur. Was als Abenteuerreise beginnt wird so zunehmend zu einer meditativen und poetischen Befragung unserer Lebensweise.
Es gibt übrigens ein Vorgängerbuch mit demselben Titel, das bei Tesson auch erwähnt wird. Peter Matthiesen hat sich 1973 ebenfalls auf die Suche nach dem Schneeleoparden begeben; auch er verbindet Naturbeobachtung mit philosophischer Reflexion: Peter Matthiesen, Der Schneeleopard, Matthes & Seitz. Am besten, beide lesen! Rowohlt 2021

Siegerin Yishai Sarid

Abigail, eine sympathische und selbstbewusste Frau, ist Expertin für die Psychologie des Tötens. Im Auftrag des israelischen Militärs hilft sie Soldaten, den Feind zu besiegen und selbst am Leben zu bleiben. Denn das Töten, so sieht es Abigail, liegt nicht in der Natur des Menschen, er muss es trainieren – möglichst ohne davon traumatisiert zu werden. Das gelingt nicht immer. Zum Beispiel bei Mendi, ein früherer Patient und Freund, der nach seinen Kriegseinsätzen Künstler geworden ist und zurückgezogen in einem Moschav lebt. Er vermisst den Kick des Tötens noch immer und kann seine Erlebnisse nicht vergessen. Dann wird Abigails Sohn Schauli zum Militär eingezogen; und ausgerechnet er erleidet während eines Gefechts eine Panikattacke. Sie holt ihn nach Hause und muss eine schwere Entscheidung treffen.
Wie schon in „Monster“, das die Holocaust–Gedächtniskultur in Auschwitz zum Thema hat, fasst Yishai Rashid in seinem neuen Roman wieder ein heißes Eisen an. Er zwingt beim Lesen in die Sichtweise von SoldatInnen und ihrer Führungspersonen, denn „Siegerin“ ist aus der Ich- Perspektive Abigails erzählt, und unwillkürlich identifiziert man sich mit ihr. Der Roman hat keine eindeutige Botschaft; er gibt vielmehr zu denken und hallt deshalb lange nach. Kein & Aber 2021

Heimkehr Wolfgang Büscher

Der Autor möchte seiner Mutter in ihren letzten Lebenswochen nahe sein. Deshalb kehrt der Weitgereiste nun heim. Er will aber nicht im verlassenen Elternhaus wohnen. Statt dessen bezieht er eine Jagdhütte im Wald, ohne Strom und Wasser und im März noch eiskalt. Außerdem nicht abschließbar. Er wird dort bleiben bis in den Herbst, eine Auszeit der besonderen Art. Regelmäßig besucht er seine Mutter im Pflegeheim und kommt ihr, obwohl kaum noch Gespräche möglich sind, nach langer Entfremdung innerlich wieder ein Stück näher. Ansonsten das Leben im Wald: Der Gang der Jahreszeiten, vielfältige, nie gehörte Geräusche bei Nacht, Einsamkeit und Geborgenheit, Erinnerungen an Kindheit und Jugend. Aber auch heftige Stürme und die Borkenkäferplage, kurze Gespräche mit Waldarbeitern, Rundgänge mit dem Förster, schließlich auch eine Jagd. Es ist eine Zustandsbeschreibung des Waldes wie des eigenen Inneren, genaue Beobachtung, verbunden mit persönlicher Reflexion – unbedingt lesenswert! Rowohlt 2020

Kim Jiyoung, geboren 1982 Nam-Joo Cho

In einer kleinen Wohnung am Rande der Metropole Seoul lebt Kim Jiyoung. Die Mitdreißigerin hat erst kürzlich ihren Job aufgegeben, um sich um ihr Baby zu kümmern – wie es von koreanischen Frauen erwartet wird. Als junge Mutter zeigt Jiyoung plötzlich seltsame Symptome: ihre Persönlichkeit scheint sich aufzuspalten, denn die schlüpft in die Rollen ihr bekannter Frauen. Jiyoungs Psychiater, die Erzählstimme des Romans, beschreibt ihren Werdegang als bestimmt von Frustration und Unterwerfung. Ihr Verhalten wird stets von den männlichen Figuren um sie herum überwacht. Willkommen in der Welt der Frauen und ihrer Alltagsmisogynie. Jiyoungs Leben ist unfassbar durchschnittlich. Das ist die erste große Stärke dieses schmalen Buches: die absolute Gewöhnlichkeit ihrer Existenz. Die zweite ist die Sprache, die diesen Inhalt spiegelt und transportiert. Der Roman liest sich phasenweise fast wie ein Bericht, was durch Fußnoten mit Zahlen/Daten/Fakten zur Stellung der Frau in Südkorea noch unterstrichen wird. Dennoch bleibt das Literarische des Textes und auch sein Fluss erhalten. Man will Jiyoung durch ihr Leben folgen und wissen, ob es ein anderes Ende als das vorgezeichnete haben kann. Kann es? In Korea hat das Buch Massenproteste ausgelöst. Kiepenheuer & Witsch 2021

Unsichtbare Tinte Patrick Modiano

Wer ist Noëlle Lefebvre? Warum verlor sich Mitte der 60er Jahre ihre Spur? Jean Eyben ist knapp zwanzig, als er in einer Pariser Detektei anheuert und auf die verschwundene Noëlle Lefebvre angesetzt wird. Alle Hinweise führen ins Leere. Da sind die Namen von Noëlles Kontakten, das schmale, damals heimlich entwendete Dossier und ihr sporadisch geführter Kalender mit dem geheimnisvollen Satz „Wenn ich gewusst hätte…“. Als Jean einen Jugendfreund trifft, erscheint ihm ein Detail plötzlich von Bedeutung: Noëlle Lefebvre stammt aus „einem Dorf in der Umgebung von Annecy“. So wie er selbst.
Erneut ist Modianos Roman mit kriminologischen Elementen versetzt und einer Aura des Melancholischen, des Traumhaften. Es ist auch ein Buch über das Schreiben, über das im Schreiben Sich-Vergewisserns und Sich-Erinnerns. Es sind kollektive Bilder, die Modiano zeichnet: Man möchte durch Paris streifen, oder später durch Rom, Sonne oder Regen spüren, im Café sitzen, eine Bar betreten, Menschen beobachten, denken, sehen… Die Figuren leben ihr Handeln in cineastischen Szenen. Man selbst taucht ein in diese Bilder, liest weniger, als dass man dem eigenen inneren Bilderstrom folgt. Konzentrierte Atmosphäre auf Papier. Hanser 2021

Die Vögel Tarjei Vesaas

Tarjei Vesaas (1897–1970) ist mit zwei meisterhaften Romanen unsterblich geworden: ‚Das Eis-Schloss‘ und ‚Die Vögel‘. In ‚Die Vögel‘ erzählt er von dem Außenseiter Mattis, der sich in eine kindliche innere Welt zurückgezogen hat und von den anderen Dorfbewohnern als zurückgeblieben verlacht wird. Seinen Lebensunterhalt versucht er mit kleinen Hilfsarbeiten auf dem Feld und im Wald zu bestreiten. Mattis lebt in einer Hütte am See mit seiner Schwester Hege, die den Haushalt führt und ihn versorgt, und er fühlt sich mit der Natur ringsum verbunden. Als eines Tages der Holzfäller Jørgen auftaucht, sich in Hege verliebt, und dann auch noch eine Schnepfe erschossen wird, wirft es Mattis aus der Bahn.
Die Sprache des Buches folgt ihrem ganz eigenen Rhythmus, Mattis‘ Rhythmus, der sich zuerst vielleicht am eigenen reibt. Umso überraschender und schöner ist es, wie schnell man sich in ihm wiederfindet, sich ihm überlässt. Das, was erzählt wird, ist begrenzt an Ort und Zeit, öffnet aber den Blick auf ein ganzes Universum, monumental und empfindsam zugleich. Einzelne Momentaufnahmen verweisen auf ganze Welten, äußere wie innere, und führen den Spannungsbogen bis zu einem konsequenten und bemerkenswerten Ende. Karl Ove Knausgård hat ‚Die Vögel‘ als „besten norwegischen Roman, der je geschrieben wurde“, bezeichnet. Guggolz 2020

Ein Mann der Kunst Kristof Magnusson

Da gibt es auf der einen Seite die Mitglieder eines Museums-Fördervereins. Im Zuge einer Museumserweiterung und durch den durchaus kreativen Umgang mit der Bürokratie wollen sie den Neubau einem einzigen Künstler widmen. Auf der anderen Seite steht der Künstler KD Pratz. Einer der bekanntesten zeitgenössischen Kunstschaffenden, dessen Werke sich seit Jahrzehnten zu hohen Preisen verkaufen. Er wäre der ideale Kandidat für das geplante Projekt. Finden zumindest einige Fördervereinsmitglieder. Wären da nicht die anderen Mitglieder und KD Pratz selbst. Seit Jahren lebt der Künstler zurückgezogen auf einer Burg am Rhein, empfängt keinerlei Besuch und lässt die Welt wissen, was er von ihr hält – und das ist meist nicht sehr viel. Doch KD Pratz ist sehr wohl um seinen Nachruhm besorgt, weiß sich in seiner Renitenz zu inszenieren und stimmt daher einem Treffen zu. Da nun so ein Kunst-Förderverein grundsätzlich gerne reist, und das eigene Ego sich noch viel besser in der Aura eines großen und eigentlich menschenscheuen Künstlers entwickelt, stimmen schließlich alle Mitglieder einer Wochenendexkursion zu. Bringt man jetzt beide Seiten zusammen, so entfaltet sich ein Potential an Möglichkeiten, denn die Mitglieder des Fördervereins stehen dem Künstler bisweilen in ihrer Exzentrik in nichts nach. Kristof Magnussons Roman ist eine sehr unterhaltsame Satire auf die Licht- und Schattenseiten des Kunst- und Kulturbetriebs mit großartigen Charakteren und Einfällen (Stichwort: Parkettkäfer). Er ist aber auch oder gerade deshalb ein so großes Lesevergnügen, weil der Autor nebst all der Scharfzüngigkeit und Spitzen mit einem wohlwollenden Auge auf seine Figuren blickt und sie als menschlich zeichnet. Kunstmann 2020

Sapiens - Der Aufstieg Yuval Noah Harari

Wie war es möglich, dass sich von all den Lebewesen ausgerechnet ein physisch mäßig ausgestatteter Affe die Welt untertan machte? Yuval Noah Hararis Sachbuchbestseller ‚Eine kurze Geschichte der Menschheit‘ wird nun als Graphic Novel in eine neue Form gegossen, in der zwei Medien sich verbinden. Bild und Text stehen hier gleichberechtigt nebeneinander und ergeben in diesem Fall mehr als die Summe ihrer Einzelteile. Der Text lebt von einer unterhaltsamen und intelligenten Wissensvermittlung. Yuval Noah Harari tritt in ‚Sapiens‘ selbst auf und geht der Sache mit seiner Nichte Zoe und anderen detektivisch nach. Die Zeichnungen von Daniel Casanave und David Vandermeulen haben etwas skizzenhaftes und wirken in ihren eher gedeckten Farbigkeit unaufgeregt und souverän. Dies steht im spannenden Kontrast zu der großen Wissensmenge die auf knapp 250 Seiten vermittelt wird. Die einzelnen Bilder sind häufig reich an oft witzigen Details, die gerne kleine Geschichte neben der eigentlichen erzählen.
Diese Graphic Novel macht auch deshalb Spaß, weil sie nicht nur für eine bestimmte Zielgruppe funktioniert: sie eignet sich für den wissenschaftsbegeisterten Jugendlichen genauso wie für den Liebhaber von Graphic Novels oder für den an der Thematik interessierten Erwachsenen. Selbst für diejenigen, die bereits Yuval Noah Hararis Sachbuch kennen. Letztere mögen vielleicht von der Neugier getrieben sein, eine so große Wissensmenge kongenial heruntergebrochen und in ein neues Medium übersetzt zu sehen – und kleine Änderung und Unterschiede an der ein oder anderen Stelle zu entdecken. Band 1 von 4. C.H.Beck 2020

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